Unsere Geschichte

1524

1524 nahm die kleine, aber bedeutsame Republik St. Gallen die Reformation an. Dies betraf aber nur das Gebiet von St. Leonhard bis Linsebühl. In den jetzigen Vorstandquartieren verlief die Geschichte anders. Hier wohnten da und dort Bauern, es gab vereinzelte Dörfer wie Bruggen, und alle gehörten zum „Fürstenland“, d.h. zum Benediktinerkloster. Auch hier setzte sich die Reformation zunächst mehrheitlich durch, die freikirchliche Täuferbewegung veranstaltete an der Sitter bei Bruggen 1525 gar eine Massentaufe. Nach der Niederlage der Zürcher Reformierten 1531 im Zweiten Kappelerkrieg wurde die Bevölkerung der st. gallischen Alten Landschaft aber rekatholisiert, der Fürstabt als Landesherr bestimmte die Religionszugehörigkeit seiner Untertanen.

Reformation

Der Sachse Martin Luther veröffentlichte am 31. Okt. 1517 in Wittenberg seine 95 Thesen und löste damit die Reformation aus.

Joachim von Watt (geb. 1484, jetzt 34jährig und in der Mitte seines Lebens, mit Humanistennamen Vadian, bis dahin an der Universität Wien Professor für alte Sprachen, Geograph, Mediziner, Dichter, schliesslich Rektor) kehrte im Juni 1518 zurück in seine Vaterstadt St. Gallen (Freie Reichsstadt; ca. 4’000 Einwohner, mit 25 Weltgeistlichen). Er wurde hier Stadtarzt, heiratete 1519 Konrad Grebels Schwester Martha aus Zürich und baute 1520 das eigene Wohnhaus in der Hinterlauben. Ab 1521 sass er im Kleinen Rat, ab 1526 war er langjähriger Bürgermeister.

Am Reichstag zu Worms im April 1521 wurde Luther beraten vom St. Galler Juristen Hieronymus Schürpf (Prof. an Uni Wittenberg; dort auch als Mediziner sein Bruder Augustin Schürpf). Im März 1522 traf der 20jährige Johannes Kessler aus St. Gallen, unterwegs zum Theologiestudium bei Luther in Wittenberg, im „Schwarzen Bären“ zu Jena zufällig auf ihn, der als Junker Jörg verkleidet von der Wartburg kam.

1523 begann mit Huldrych Zwingli die Reformation in Zürich als erster Schweizer Stadt. Zwingli widmete seine gedruckte Predigt „Der Hirt“ an Pfr. Jakob Schurtanner in Teufen. Vadian machte in St. Gallen die Wende voll mit und begann seine „Lesinen“ zuhause (Apostelgeschichte). Daraus entstand eine Bibelbewegung, mitgetragen von der Staatskirche.

Am 5. April 1524 verpflichtete auch der St. Galler Stadtrat seine Pfarrer auf die Bibel: so entstand die Reformation in St. Gallen als zweiter Schweizer Stadt. Fortan sollen sie predigen„ das haillige evangelion hell, clar und nach rechtem christenlichen verstand, one inmischung menschlichs zuosatz, der uss biblischer geschrift nit gegründt ist“. In der Kirche St. Laurenzen wurde als erste Neuerung ein Opfer-„Stock“ für die Armen eingerichtet.

Täuferbewegung

Im Januar 1525 wurden in Zürich erste freiwillige Glaubenstaufen (Bekenntnistaufen) durchgeführt und im Zürcher Vorort Zollikon wurde eine erste auch staatsfreie Täufergemeinde gebildet. Im Februar liess Wolfgang Ulimann aus St. Gallen sich von Konrad Grebel, dem Schwager von Vadian, mittlerweile einem charismatischen Täuferführer, im Rhein taufen und berichtete in St. Gallen begeistert davon: am 18. März sagte er sich inmitten einer grossen Menschenmenge von der evangelischen Kirche los, die er als „Lügenstätte“ bezeichnete. Am Palmsonntag den 9. April kam Konrad Grebel selber nach St.Gallen; die grosse Aufbruchbe-wegung führte zur Massentaufe in der Sitter bei Bruggen mit 500 bis 800 Personen. Im Mai veröffentlichte Zwingli seine Kampfschrift gegen die Täufer mit einer Widmung an die St. Galler. Hier führte der Stadtrat vom 4. bis 6.Juni ein öffentliches Streitgespräch durch mit dem erstaunlich milden Ergebnis, dass die täuferischen Bibellesegruppen, genannt „Lesinen“, weiter erlaubt blieben, nur ihr (Wieder-)Taufen verboten wurde.

Am 27. Juli wurde der St. Galler Täuferführer Hans Krüsi im Auftrag des Fürstabtes entführt und in Luzern hingerichtet. Das tat der Täuferbewegung keinen Abbruch, im Gegenteil: ihr Enthusiasmus, ihre Besitz- und Gewaltlosigkeit, ihre ergreifenden, ekstatischen Gottesdienste bewirkten, dass die Region das grösste Täuferzentrum der Eidgenossenschaft wurde. Auch im benachbarten Appenzellerland habe es „drei Versammlungsorte mit 2200 Täufern“ gegeben.

Das kollektive Glücksgefühl des grossen Aufbruchs kannte keine Tabus und steigerte sich ins Wahnhafte. Um Jesus ganz nahe zu sein, liess sich Leonhard Schugger in einer täuferischen Hausgemeinde am 8. Februar 1526 von seinem Bruder Thomas hinrichten. Im August starb Konrad Grebel in Maienfeld an der Pest. Am 5. Januar 152 wurde in Zürich das erste Todesurteil gegen Täufer vollzogen, nämlich Felix Manz in der Limmat ertränkt. Das Täufertum schien in Bälde erledigt, fand aber am 24. Febr. in einer eigenen Synode in Schleitheim SH eine neue, besonnene Einheit („7 Artikel“). Viele Täufer wanderten aus, oder tauchten in der Anonymität unter, wurden die weitherum geachteten „Stillen im Lande“.

Gründung des Kantons St.Gallen

Dies änderte sich schlagartig mit dem Einfall der Franzosen. Der Fürstabt musste 1798 abdanken, seine Untertanen wurden frei, die über tausendjährige Geschichte des Klosters war zu Ende, die evangelische Stadt St. Gallen wurde aus Napoleons Gnaden 1803 Hauptort des gleichnamigen, grossmehrheitlich katholischen Kantons.

Die Entwicklung führte dazu, dass auch Katholiken in der Stadt wohnhaft und Bürger werden konnten, und umgekehrt Evangelische in den katholischen Alten Landschaften. 1803 wurde Straubenzell zum Gemeindenamen für das Gebiet auf beiden Seiten der Sitter. 1837 zählte man hier unter 1769 Einwohnern 160 Evangelische, die zerstreut in der „Diaspora“ unter den katholischen Einheimischen lebten und noch kaum Kontakt untereinander hatten. Kirchge-nössig waren sie zum noch 1470 für Klosterfrauen gebauten Gotteshaus St.Leonhard, wo seit 1834 ein besonderer Kirchkreis eingerichtet wurde mit einem eigenen Pfarrer; sie wurden bis 1873 auch auf dem dortigen Friedhof bestattet, erst von da an in Bruggen oder im Feldli (eröffnet 1876, Krematorium seit 1903).

Straubenzell

Der Name „Straubenzell“ wird seit 1167 überliefert und meinte ursprünglich wohl ein Klostergut („Zelle“) in der Gegend von Hofstetten, das von einem Bauern namens Strub („strup-pig, krausköpfig“) bewirtschaftet wurde.

Die Ortsgemeinde Straubenzell hat 2006 ein neues Geschichtsbuch herausgegeben: „Straubenzell, Landschaft – Gemeinde – Stadtteil“.

Industrialisierung

Der Aufschwung der Industrie brachte aber besonders ab 1870 eine enorm zunehmende Bevölkerung nach St. Gallen, vor allem im Zusammenhang mit der blühenden Stickereiindustrie. In Kürze wohnten fast unzählige Frauen und Männer hier, die gerade in den Aussengemeinden oft in einfachen Arbeiterquartieren lebten, zum Teil auch in ärmlichsten Verhältnissen. Um all den Neuzugezogenen in Straubenzell und bis Engelburg besser gerecht zu werden, ersetzte man 1887 die schlichte Kirche St. Leonhard mit einem grossräumigen Neubau, der über 990 Sitzplätze verfügte, und 1891 wurde bei St. Leonhard ein Doppelpfarramt für das weite Diasporagebiet im Westen der Stadt eingerichtet. Aber die Entwicklung lief anders.

Kirche St. Leonhard

1153 weihte das Benediktinerkloster St. Gallen seine Gebietserweiterung nach Westen, indem es oben auf dem Büchel eine kleine Kapelle baute zu Ehren von zwei Heiligen, welche an den französischen Jakobswegen bedeutsam waren: Leonhard und Egidius. Die Kirche war bestimmt für die langsam entstehende Wohngegend wie eine zeitlang auch für Hundwil. Seit 1318 sind Frauen neben St. Leonhard auf dem Hügel in der „Oberen Klause“ bezeugt. Ab 1425 lebten Frauen auch in der „Unteren Klause“, ab 1450 mit der Dritten Regel der Franziskaner, ab 1470 mit der eigenen kleinen Kirche, ab 1507 mit geräumigem Wohnhaus und ab 1510 mit eigenem Friedhof. In der Reformationszeit wohnten hier unten die „Frau Mutter“ Wibrat Mörli (Fluri) mit zehn Frauen und einer Magd. Nach Grebels Massentaufe an der Sitter am Palmsonntag 1525 stürmte und plünderte der Pöbel das Frauenkloster. Immer neue Einmischungen des reformierten St. Galler Stadtrates nützten nichts: die Frauen blieben da, bis die meisten von ihnen gestorben waren.

Erst 1566 gingen die Gebäude an die Stadt über. Die Kapuzinerinnen zogen später nach Tübach. Das ehemalige Wohnhaus wurde bis 1839 als städtisches Zuchthaus genutzt, dann bis 1886 als Strafarbeitshaus; es wurde 1900 abgebrochen. Die Kirche von 1470 wurde 1654 eine Filialkirche der Stadt und mit einem Turm, Glocken und Kirchenstühlen versehen. 1887 wurde sie abgebrochen; stattdessen konnte östlich von ihr die jetzige Kirche bezogen werden, die mit ihren 990 Sitzplätzen auch für alle Straubenzeller Protestanten gedacht war. Sie war die erste neugotische Kirche im Kanton, gebaut nach den Plänen des angesehenen Berliner Architekten Johannes Vollmer und des im Quartier wohnhaften Ferdinand Wachter, und übernahm den Taufstein von 1656. 1932 erhielt die Kirche Glasgemälde von August Wanner. 1995 wurde die evangelische Gemeindekirche geschlossen, aber seit 1997 konnte die „Offene Kirche St. Leonhard“ sie nutzen. 2005 wurde die stark renovationsbedürftige Kirche von der Kirchgemeinde St. Gallen C in private Hände übergeben.

Kirchliche Richtungen

Im Laufe des 19. Jahrhunderts hatte die theologische Ausrichtung der Pfarrer, die sog. „Richtungsfrage“, immer mehr auch die aktiven Gemeindeglieder beschäftigt. Die „liberalen“, von der Aufklärung geprägten „Reform“-Theologen stritten mit den Vertretern der meist als „orthodox“, „positiv“ oder „bibeltreu“ bezeichneten traditionelleren Richtung. In Straubenzell war man sich aber einig, „für unsere vielgestaltigen Verhältnisse mit einer wahren Musterkarte verschiedenster religiöser Ansichten kann nur ein Geistlicher gemässigter Richtung passen.“ Bei der Kampfwahl zogen 1902 die Stimmberechtigten schliesslich einen 30jährigen liberalen Pfarrer vor. Bald wurde die Spannung liberal – positiv in der Gemeinde aber relativiert durch die Herausforderungen der neuen Zeit und auch durch die dritte Richtung der „Religiös-Sozialen“.

Gründung eigener Kirchgemeinde

Der Anteil der Protestanten in Straubenzell erreichte um 1900 bereits 43 Prozent (3517 von insgesamt 8090 Personen). Eine Versammlung von mehr als dreihundert Evangelischen beschloss, sich von der Kirchgemeinde St. Gallen Centrum zu trennen und eine eigene Kirchgemeinde Straubenzell zu gründen. Im Saal der Brauerei Schönenwegen wurde am 15. Juni 1902 diese Gründung vollzogen. Man tendierte sogleich auf einen eigenen Pfarrer und eine eigene Kirche. Bereits im folgenden Jahr konnte ein 31jähriger St. Galler als Pfarrer begrüsst werden. Zwei Jahre später traten dem Kirchengesangsverein bei seiner Gründung gleich 90 Aktivmitglieder bei.

Einweihung Kirche Bruggen

Die weite Ausdehnung der Gemeinde Straubenzell machte die Wahl des Kirchenstandorts schwierig: in der Mitte eine gemeinsame Kirche in Schönenwegen? Oder Hinwirken auf zwei Kirchen, „eine gehört nach Bruggen und eine in die Lachen“ ? Die Stimmberechtigten entschieden sich 1902 schliesslich in ihrer Mehrheit für Bruggen. Am 14. Januar 1906 wurde die Kirche Bruggen an der Zürcherstrasse festlich eingeweiht. Der damals kreuzförmig gedachte Zentralbau mit seinem Sternengewölbe wies 730 feste und 132 Ausziehplätze auf; der weithin sichtbare Turm hat eine Höhe von 57 Metern.

Mit dem grossen Umbau von 1966/67 verkleinerte man den Hauptraum und gewann dadurch beim Eingang ein Vestibül und im oberen Stock einen Saal mit Teeküche.

Stadtverschmelzung

1918 vereinigten sich die politischen Gemeinden Straubenzell und Tablat mit St. Gallen. Die drei evangelischen Kirchgemeinden blieben selbständig, ebenso die Orts(bürger)gemeinden, z.B. in Straubenzell.

Stickereikrise

Im ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts hat sich die protestantische Bevölkerung in Straubenzell von 3’517 auf 6’730 erhöht, somit fast verdoppelt. 1910 wohnten in Winkeln 572 und in der „Mittleren Gemeinde“ Bruggen 1’671 Evangelische, in der „Inneren Gemeinde“ Lachen-Vonwil aber bereits 4’487. So sollte 1913 dringendst eine neue Pfarrstelle für Lachen-Vonwil geschaffen werden. Lange musste in diesem jetzt plötzlich volksreichen Gemeindeteil ein ehemaliger Stickereisaal an der Feldbachstr. 23 als bloss gemieteter, provisorischer Gemein-desaal genügen und an der Schillerstrasse das 1922 erbaute Pfarrhaus mit seinem Unterrichtszimmer.

Die Weltwirtschaftskrise suchte St. Gallen und seine exportorientierte Stickereiindustrie besonders schwer heim. Viele Fabriken mussten schliessen, Arbeitsplätze gingen in grosser Zahl verloren, die Bevölkerungszahlen gingen wieder zurück. Weite Volkskreise verarmten aufs Neue, die Kirchgemeinde war stark herausgefordert. 1929 wurde nun eine erste Gemeindehelferin angestellt (später zusätzlich eine zweite), und im folgenden Jahr wurden der Evangelische Frauenverein Straubenzell für finanzielle Hilfen und Gartenlandpachten wie auch die Evangelische Gemeindehilfe Straubenzell für Arbeitsvermittlungen gegründet.

Bau Kirchgemeinde Haus Lachen

Der Feldbach-Saal stand 15 Jahre lang und bis November 1933 zur Verfügung. Mit einer äusserst knappen Stimmenmehrheit beschloss die Kirchgemeindeversammlung 1933 nun doch überraschend, trotz der Finanzknappheit an der Burgstrasse neben dem Pfarrhaus den Bau eines Kirchgemeindehauses Lachen zu wagen, was immerhin Arbeit brachte. Es konnte am 13. Januar 1935 eingeweiht werden, war in der weiten Gegend das erste in dieser Art und Lachen-Vonwil hatte endlich sein lang ersehntes Zentrum für den Gemeindeaufbau.

Um dem grossen Saal einen mehr kirchlichen Charakter zu verleihen, wurde er später umgestaltet, und das Gemeindehaus erhielt 1963 einen Turm mit Glocken.

Vorkriegszeit – Zweiter Weltkrieg

Bereits zu Bettag 1934 liess ein Straubenzeller Pfarrer im „Gemeindeblatt“ eine Erklärung der „Bekennenden Kirche“ abdrucken und kommentierte, es gehe in Deutschland „um letzte, grundsätzliche Glaubensentscheidungen, und darum geht es auch uns an.“ So leistete das „Gemeindeblatt“ auch wertvolle Unterstützung für alle Aktionen, die während und nach den Kriegsjahren für die Flüchtlingshilfe unternommen wurden.

Flüchtlings-Hilfe

Der Straubenzeller Pfarrer Hermann Kutter jun. brachte 1937 an der Kantonalen Synode eine von 55 Synodalen mitunterzeichnete, aufsehenerregende Motion ein, in der mit Entsetzen gegen die bereits erfolgte schweizerische Anerkennung von Mussolinis gewaltsamen Eroberung von Abessinien protestiert wurde. Man könne „nicht verstehen, warum gerade unser Land, welches wie kaum ein anderes auf internationale Rechtssicherheit angewiesen ist, sich beeilen musste, die an einem durch die Völkerbundssatzungen verbündeten Kleinstaat begangene Gewalttat zu sanktionieren:“ Man müsse darauf hinweisen, „wie die Achtung und das Vertrauen zu unserer obersten Landesbehörde und das Rechtsgefühl in unserem Volk durch das Geschehene erschüttert worden sind.“ Es folgte eine lange und bewegte Aussprache. Politiker warnten, die Kirche habe sich nicht in die Politik einzumischen. Die Motion wurde aber mit 63 Ja gegen 54 Mein angenommen und dem Bundesrat zugestellt. Eine Antwort ist nicht eingegangen.
Straubenzell war eine der ersten Kirchgemeinden, die 1939 den „Flüchtlingsbatzen“ einführten; diese wiederkehrende Haussammlung, von kaum der Hälfte der st. gallischen Gemeinden unterstützt, wurde mit der Zeit zur wichtigsten Finanzquelle der evangelischen Flüchtlingshilfen der Schweiz.
Bei Pfr. Peter Walter, seit 1940 in Bruggen, fand regelmässig eine „Pfarrer-Sozietät“ statt, wo man die neuesten Schriften von Prof. Karl Barth las, dessen im Glauben an Jesus Christus tief verwurzelte Absage an jeden staatlichen Totalitätsanspruch überzeugte. Fünf Tage nach der neuerlichen Grenzschliessung unterschrieben auch Pfr. Walter und Pfr. Christian Lendi-Wolff am 18. 8.1942 einen Brief an den Kirchenbundspräsidenten Koechlin, er möge sofort bei Bundesrat von Steiger vorstellig werden.
Zehn Tage darnach schrieben die Mädchen der – der Jungen Kirche angegliederten – Töchter-vereinigung Bruggen-Winkeln an Bundesrat von Steiger selber, sie hätten viel von den ver-folgten Flüchtlingen gehört und könnten fast nicht glauben, dass man ihnen die Aufnahme verweigern und sie so dem Untergang preisgeben wolle.
Die Antwort des Bundesrates am 30.8.1942 bei der schweizerischen „Landsgemeinde“ der Jungen Kirche im Zürcher Hallenstadion ist bekannt: „Das Boot ist voll.“ Viele der anwesenden jungen Leute waren empört; zu jenem Zeitpunkt waren zwischen 7’ und 10’000 Zivilflüchtlinge in der Schweiz.
1943 lud der Kirchenrat die Kirchenvorsteherschaften und Pfarrämter dringend ein, an der Freiplatzaktion teilzunehmen. So wohnte ein älteres jüdisches Ehepaar aus Belgrad während anderthalb Jahren bei der sechsköpfigen Familie Walter im Pfarrhaus Bruggen. Die Gemeinde habe positiv darauf reagiert.

Auszüge aus dem Buch von Marianne Jehle-Wildberger, Das Gewissen sprechen lassen, Die Haltung der St. Galler Kirche zu Kirchenkampf und Flüchtlingsnot 1933-1945, Zürich 2001, Seiten 81f; 98, 106; 86; 121f; 113f; 130, 147

Hochkonjunktur

Diese begann gegen 1950 und dauerte fast drei Jahrzehnte. Die Zahl der Straubenzeller Gemeindeglieder hatte sich in den Dreissigerjahren kaum mehr verändert, nahm jetzt aber wieder dauernd zu, von 6’412 im Jahr 1940 über 7’987 im Jahr 1960 bis zu 9’380 im Jahr 1980.

Seit 1942 wurde jeweils für kurze Zeiten ein Hilfspfarrer angestellt. 1953 wurde stattdessen ein drittes Gemeindepfarramt bewilligt, damit Lachen und Vonwil je separat betreut werden konnten.
In den Nachkriegsjahren erlebte auch Winkeln einen neuen Aufschwung. Kurz nach der katholischen Bruder-Klausen-Kirche konnte am 28. Oktober 1962 das Kirchgemeindehaus Winkeln mit dem Glockenturm eingeweiht werden, und 1965 wurde dort die vierte Pfarrstelle besetzt.

Ökumene am Ort und weltweit

Seit den Sechzigerjahren lebte sich immer mehr das Zusammenwirken mit den Katholiken ein. Die Erstaugustfeier wurde mehrfach durch einen ökumenischen Gottesdienst ersetzt. Straubenzell beteiligte sich 1981 an der dreijährigen Anstellung von Pfr. Pieter Tanamal aus Indonesien: halbzeitlich wirkte er hier. Zu einem gemeinsamen Suppentag im November 1981 luden neben den Pfarrämtern Lachen und St. Otmar auch fünf Ausländervereine ein. An der Vorbereitung des in St. Gallen 1951 eingeführten und seit 1974 ökumenisch gefeierten „Weltgebetstags der Frauen“ nahmen auch Frauen aus Straubenzell teil, sodass diese Feier seit 1984 auch im Westen der Stadt selbständig geführt wird.
Straubenzell engagierte sich stark bei Brot für alle, in der kirchlichen Entwicklungshilfe und in der Flüchtlingshilfe. Dies brachte aber auch viele persönliche Kontakte und bereicherte das eigene kirchliche Leben. Statt auf die gewohnte Bausteuer von 3 % ganz zu verzichten, beschlossen die Stimmberechtigten 1988 auf Antrag aus ihrer Mitte, ein Prozent einzusetzen „an Menschen, die es nötig haben“.

Frauen

1968 führte die Kantonalkirche in einer Volksabstimmung das Frauenstimmrecht ein. 1976 fand in Straubenzell erstmals eine Pfarrerin eine Stelle, wenigstens als Verweserin 1985 wählte die Kirchgemeinde eine Präsidentin. Eine Theologin, die bereits seit 1972 freiwillige Mitarbeiterin in den Heimen und in Winkeln gewesen war, wurde jetzt teilzeitlich als Pfarrerin angestellt. Seit dieser Zeit wurde das Amt einer „Pfarrerin“ selbstverständlich.

Abberufung eines Pfarrers

Drei Jahre lang galt der für Bruggen gewählte rumänische Pfarrer aus Siebenbürgen als sehr engagiert und beliebt, bis 1979 seine verborgen gehaltene Neonazi-Tätigkeit bekannt wurde und er sich weigerte, sich klar von Hitlers Ideen zu distanzieren. Er wurde deshalb in einer ungewöhnlich gut besuchten Kirchgemeindeversammlung mit nur noch ganz wenigen Gegenstimmen abberufen.

Neonazi-Tätigkeit

Seit 1976 war Gerd Zikeli, geb. 1937, aus Siebenbürgen, beliebter volkstümlicher Pfarrer in Bruggen. Er lehnte allerdings die kirchlichen Hilfswerke als kommunistisch ab, das nahm man zunächst in Kauf. Im Buch „Die unheimlichen Patrioten“ von Jürg Frischknecht, Peter Haffner, Ueli Haldimann und Peter Niggli 1979 wurde er aber als Neonazi entlarvt. Für die in jeder Hinsicht „ausserordentliche“ Kirchgemeindeversammlung vom 10. Febr. 1980 beantragte die Kirchenvorsteherschaft seine Abberufung. Von den 1120 anwesenden Stimmberechtigten waren 1072 = 96,5% mit diesem Antrag einverstanden, 39 dagegen, 9 waren leere oder ungültige Stimmen. Gerd Zikeli appellierte an den Regierungsrat, später noch ans Bundesgericht. 1981 zog er endlich aus dem Pfarrhaus Bruggen und übernahm ein Buchantiquariat bei München; die Schweiz verfügte über ihn eine Einreisesperre. Das Bundesgericht gab im Febr. 1982 mit 3 zu 2 Stimmen der Kirchenvorsteherschaft Straubenzell recht.

Abkurung und Ablehung

1980 wurde für Riethüsli-Hofstetten ein eigenes kirchliches Zentrum gebaut. Dieses wurde aber fünf Jahre später mitsamt dem dicht bewohnten Quartier westlich der Teufenerstrasse (ursprünglich das Stammgebiet von Straubenzell) an die Nachbargemeinde St. Gallen C ab-getreten, sodass dort ein eigenes Pfarramt in einem eigenen Kirchkreis geschaffen werden konnte.

Als sehr erwünschter weiterer Treffpunkt wurde 1984 die „Baracke“ Haggen an der Ecke Oberstrasse/Haggenstrasse in Betrieb genommen.
Mit der Schaffung einer fünften Pfarrstelle 1987 galt Haggen fortan als selbständiger Kirchkreis. Man projektierte dort eine Versammlungs- und Begegnungsstätte, die zugleich auch als ökumenisches Zentrum dienen könnte. Die reformierte Kirchgemeindeversammlung hiess das Vorhaben zwar gut, bei der gesamtstädtischen katholischen Abstimmung wurde es mit 2578 Nein gegen 1893 Ja aber deutlich abgelehnt. Den dortigen Reformierten steht seit 1993 wenigstens ein eigener Pavillon im Wolfganghof zur Verfügung.

Jugendarbeit

1983 bewilligten die Kirchgenossen, auf Grund eines neuen Konzepts die Kinder- und Jugendarbeit auszubauen. Dazu wurden neue Mitarbeitende, in den Quartieren aber auch geeignete Räume gesucht und gefunden.

Ein freikirchlicher Pfarrer in der Volkskirche

Für die vakante Stelle in Vonwil wurde 1987 ein freikirchlicher Pfarrer angefragt, der bis dahin die Baptistengemeinde St. Gallen geleitet hatte. Nach einer zweijährigen provisorischen Vertretung wurde er definitiv als Gemeindepfarrer gewählt. So vereinfachte sich auch der Kontakt zu den Freikirchen. Die bulgarische Baptistengemeinde Varna am Schwarzen Meer ist seit 1990 Partnergemeinde von Straubenzell.